Die Karman-Linie erreichen – mit einer Hybrid-Rakete
Jesaiah Coy, der Gründer und Chief Technical Officer (CTO), leitet die meisten Testkampagnen und weitere Aktivitäten wie Veranstaltungen und Wettbewerbe. Er berichtet: "Unser Hauptziel ist es, zu lernen und die Lücke zwischen Theorie und Praxis zu schließen. Es ist unglaublich lehrreich und lohnend, die Sachen, die man im Studium lernt, praktisch auszuprobieren. Außerdem geht es um viel mehr als nur darum, eine Rakete zu bauen: Logistik, Partnerschaften, rechtliche Aspekte und vor allem Budgetplanung." Das Langzeitziel von ASTRA ist es, eine Rakete zu bauen, die in der Lage ist, die Karman-Linie in 100 Kilometer Höhe über Meeresspiegel zu erreichen – benannt nach dem Ungarisch-Amerikanischen Mathematiker, Physiker und Ingenieur Theodore von Kármán (1881-1963) und allgemein anerkannt als ungefähre Grenze zwischen der Erdatmosphäre und dem Weltraum.
Als Ansatz dafür wird eine Hybrid-Rakete verfolgt – sie ist weniger komplex als eine reine Flüssigtreibstoff-Rakete und vermeidet die strengen Vorschriften für Feststoffraketen besonders in Deutschland. „Es ist dafür nur ein Flüssigtreibstoff nötig, Stickstoffoxid, der von selbst druckstabil ist“, erklärt Coy. Zu den ersten Schritten auf dem Weg zur Karman-Linie gehören Starts auf Höhen von drei und zehn Kilometern. „2023 haben wir das erste Mal am EuRoC-Wettbewerb teilgenommen. Wir hatten erfolgreich alle Test- und Vorbereitungsprozeduren abgeschlossen, aber dann ging uns die Zeit aus, so dass wir am Ende keinen Raketenstart machen konnten. Deshalb wollen wir natürlich dieses Jahr einen Schritt weiter gehen.“
Für Raketenentwicklung und Raketenantriebstests verlässt sich ASTRA unter anderem auf Messtechnik von Kistler. Der erste Kontakt ergab sich auf der Space Tech Expo Europe (ebenfalls in Bremen) im November 2022, als ASTRA seine Ideen erstmals der Öffentlichkeit vorstellte – und seitdem hat Kistler nicht nur Sensoren und Messketten, sondern auch wertvolle Hilfe bereitgestellt, sogar vor Ort. Coy weiter: „Frank Busch war von Anfang an sehr interessiert an unserem Projekt und ist auch weiterhin eng dabei. Dass wir bewährte Messtechnik von Kistler nutzen können, die in der Weltraumindustrie sehr bekannt ist, ist natürlich ein großer Vorteil für uns.“
Raketenantriebstests und Schubmessung mit Kistler
Die Rakete „Karma 2.0“ von ASTRA ist momentan (Ende Februar 2024) in Phase B des Bauprozesses, so dass die Raketenantriebstests sowie Windkanaltests bald stattfinden werden. Sie ist etwa 4,5 Meter hoch und wird, obwohl sogar etwas leichter, etwa 2,5-mal stärker sein als die erste Hybridrakete von ASTRA. Für die Schubmessung werden vier piezoelektrische Kraftsensoren 9021A von Kistler eingesetzt. Sie werden am Prüfstand zwischen einer Platte und dem Schott der Rakete installiert. „Sie funktionieren sehr gut in diesem Aufbau. In Kombination mit den Daten der Drucksensoren von Kistler – die den Druck innerhalb und außerhalb der Brennkammer sowie in der Zuleitung der Injektoren messen – sind wir in der Lage, die spezifischen und Gesamtimpulse unserer Hybridrakete zu berechnen. Das ist enorm wichtig für die Leistungsoptimierung“, erklärt Coy.
„Diese Messungen sind alles andere als einfach und glücklicherweise konnten wir ihnen helfen, die Sensorintegration und die Messkette zu verbessern“, berichtet Frank Busch, Vertriebsingenieur bei Kistler. „Am Anfang war die Datenqualität nicht sehr gut und sie haben nicht die gewünschten Resultate bekommen – also bin ich mit zwei Kollegen zum DLR-Standort gefahren, um das Studierendenteam zu unterstützen.“ Nachdem das Setup geändert wurde und ein anderer Sensortyp zum Einsatz kam – ein Wechsel von piezoelektrischen auf piezoresistive Sensoren, um den Einfluss des Thermoschocks zu reduzieren – klappte alles sehr gut. Coy erneut: „Am Ende waren sogar die Testingenieure vor Ort beeindruckt – nicht nur unserer Datenqualität, sondern auch davon, dass eine Studierendeninitiative wie ASTRA Unterstützung von gleich drei Ingenieuren von Kistler bekommt.“
Komplette Messtechnik – vom Sensor bis zur Software
Alle Sensoren sind verbunden mit dem Datenerfassungssystem KiDAQ, das einfach mit einem normalen Laptop verbunden werden kann, auf dem die Software KiStudio Lab zur Parametrierung und Konfiguration installiert ist. Um die Messtechnik zu vervollständigen, hat ASTRA auch Zugriff auf die Software jBEAM von Kistler für die Visualisierung und Analyse der Daten. Shancia Andrew ist seit fast einem Jahr bei ASTRA und in der Abteilung Antriebstechnik tätig. Sie berichtet: „Die Arbeit mit den Sensoren, KiDAQ und der Software ist wirklich einfach: Ich kann fast alles von meinem Laptop aus steuern. Die Datenqualität ist sehr gut und man kann mit der jBEAM-Software praktisch und effizient Analysen durchführen.“
ASTRA hat sich vorgenommen, den Raketenantrieb im Mai 2024 fertigzustellen, um dann die Windkanal- und Vibrationstests starten zu können. Auch wenn die Beschleunigungssensoren von Kistler bisher nicht eingesetzt wurden, könnten sie dann eine wichtige Rolle spielen. „Wir haben im letzten Jahr so viel über Messtechnik und Tests gelernt, dass wir jetzt in einer viel besseren Position sind, um unsere Hybridrakete zu optimieren und die Anforderungen bei der EuRoC zu erfüllen“, erläutert Coy. Im Laufe der kommenden Testphase wird ASTRA auch die Gelegenheit haben, die neuen piezoresistiven Drucksensoren 4011A von Kistler zu nutzen: Sie bieten Vorteile bei Handling und Genauigkeit dank der eingebauten digitalen Temperaturkompensation
Landetests und Probestarts sind für den Sommer geplant, im Oktober 2024 wird dann der zweite Versuch bei der EuRoC stattfinden. Ein Erfolg bei diesem Wettbewerb wäre ein sehr wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Karman-Linie, die 2025 mit einer mehr als acht Meter hohen Rakete erreicht werden soll. „Eine große Herausforderung ist nach wie vor, einen Raumhafen für den Start zu finden und bezahlen zu können. In Deutschland ist das leider nicht möglich – aus Sicherheitsgründen, man muss näher am offenen Ozean sein“, erklärt Jesaiah Coy. Wenn es ASTRA gelingen sollte, die Karman-Linie zu erreichen, wären sie erst das zweite Studierenden-Team, das jemals ein so ehrgeiziges Ziel erreicht hat – und das erste mit einem hybriden Raketendesign.