Medizintechnik: Werkzeuginnendruckmessung erleichtert GMP-konformes Spritzgießen


Bei der Herstellung von Spritzgießartikeln in der Medizintechnik hat die Produktqualität oberste Priorität. Das Einhalten von gesetzlichen Vorgaben und Normensystemen wie die Good Manufacturing Practice (GMP) sind dabei eine Grundvoraussetzung, um am Markt teilzunehmen. Gleichzeitig sind im Zuge des globalen Wettbewerbs auch die Ansprüche an die Effizienz der Produktion gewachsen. In der Folge streben Hersteller sowohl nach zuverlässiger, reproduzierbarer und dokumentierter Qualität als auch danach, die Kosten dafür unter Kontrolle zu halten. Mit der im Produktionsprozess integrierten Messung des Werkzeuginnendrucks haben Spritzgießer ein wirksames Instrument an der Hand, um diese doppelte Anforderung zu bewältigen.

Die „Gute Herstellungspraxis“ oder GMP umfasst Richtlinien zur Qualitätssicherung der Produktionsabläufe und -umgebung unter anderem bei der Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Ziel ist, ein qualitativ hochwertiger Produktionsprozess – von der Materialbeschaffung bis zur Lagerlogistik – und damit eine hohe Produktqualität. Darüber hinaus soll das Qualitätsmanagement gemäß GMP und ISO 13485 sicherstellen, dass die regulatorischen Anforderungen für die Vermarktung erfüllt sind. Das heißt, in der Medizintechnik ist eine hohe und validierte Produktqualität nicht primär ein Wettbewerbsvorteil oder Differenzierungsmerkmal wie in anderen Industrien, sondern eine unverzichtbare Bedingung.

Die Kernstücke der GMP sind die Qualifizierung der Anlagen und Maschinen sowie die Validierung von Prozessen und Methoden. Bei ersterem gilt es, in einem geplanten, mehrstufigen und dokumentierten Prozess zu zeigen, dass die Ausrüstung und Anlagen prinzipiell für den Zweck geeignet sind und unter den Bedingungen vor Ort tatsächlich zuverlässig funktionieren. Auch bei der Prozess- und Methodenvalidierung muss dokumentiert und nachgewiesen werden, dass die eingesetzten Prozesse und Methoden zu verlässlichen und reproduzierbaren Ergebnissen führen und das gefertigte Produkt den Anforderungen entspricht. Um die hohen Ansprüche besonders auch hinsichtlich Dokumentation zu erfüllen, hat sich in der Spritzgießpraxis die Prozessüberwachung mittels Werkzeuginnendruck, auch Forminnendruck genannt, vielfach bewährt. Dieser Parameter ist im Spritzguss die aussagekräftigste Prozessgröße, die den Anwendern vollumfängliche Transparenz über den Formteilbildungsprozess ermöglicht. Dass diese den Anwender bei den Dokumentationspflichten unterstützt, liegt auf der Hand. Darüber hinaus vereinfacht die Überwachung des Werkzeuginnendrucks ebenfalls die Prozessvalidierung beim Einrichten der Maschine und die Optimierung der Abläufe in der Produktion – bis hin zur Null-Fehler-Produktion durch Qualitätsvorhersage-Modelle.

Kunststoffteile in der Medizintechnik müssen hohen Ansprüchen genügen
In der Medizintechnik ist eine hohe und validierte Produktqualität eine unverzichtbare Bedingung.

Relevante Korrelation mit Bauteil-Qualität

Worin begründet sich die hohe Aussagekraft und damit die Relevanz des Werkzeuginnendrucks? Als Prozessparameter wird er mittels Drucksensoren direkt in den Kavitäten bestimmt und beschreibt präzise die Vorgänge in diesen – und schafft damit Transparenz über die Entstehungsbedingungen des Bauteils während des gesamten Spritzgussprozesses. Essenziell dabei: seinem Verlauf während der Füll-, Kompressions- und Nachdruckphase können spezifische qualitätsrelevante Eigenschaften des Bauteils zugeordnet werden, beispielsweise Maßtreue, Oberfläche, Gewicht oder Ausformungsgrad. Der Verlauf des Werkzeuginnendrucks stellt somit einen teilespezifischen Fingerabdruck der aktuell produzierten Qualität dar, mit dem sich während des gesamten Produktionsprozesses genaue Aussagen zu optimalen Prozessparametern treffen lassen. Gutteile (OK) von Schlechtteilen (NOK) zu unterscheiden ist bereits während der Produktion möglich. Dazu wird bei der Validierung der jeweiligen Prozessparameter die obere und untere Grenze der Kennwerte bestimmt. Verlässt dann bei der Produktion der aus der Kurve bestimmte Wert das vorgegebene Prozessfenster, wird das entsprechende Teil als NOK klassifiziert und automatisch aussortiert. Auf diese Weise gelangen nur Gutteile weiter in die Wertschöpfungskette. Über diesen Nutzen hinaus können die gewonnenen Kenngrößen auch für eine statistische Prozesskontrolle herangezogen werden (siehe Abbildung 1).

Idealer Korridor und Abweichungen im Spritzgießprozess
Mit Hilfe der Werkzeuginnendruckmessung lassen sich in der Produktion Gut- und Schlechtteile automatisch unterscheiden und sortieren.

Bei der Validierung mittels Werkzeuginnendruckmessung entstehen weitere Vorteile: So sinkt im Vergleich mit einer ausschließlichen Berücksichtigung der Maschinenprozessparameter der Aufwand dafür deutlich. Denn die Vorgänge in der Maschine   beschreiben die Formteilbildung in der Kavität nur unzulänglich und eine Korrelation mit der Bauteilqualität ist schwierig. Vielmehr müssen die Maschinenparameter an neue Bedingungen – beispielsweise verändertes Materialverhalten aufgrund der Verarbeitung unterschiedlicher Materialchargen – angepasst werden, um eine konstante Bauteilqualität zu produzieren. Sind die Schwankungen so ausgeprägt, dass die nachgeführten Einstellungen außerhalb des bereits validierten Prozessfensters liegen, muss der Prozess in zeitaufwendigen Versuchen erneut validiert werden. Der Einsatz der Werkzeuginnendruckmessung und die Kenntnis der Korrelation von Messwerten und Qualitätsmerkmalen (Abb.2) erleichtert dies maßgeblich.

Der Werkzeuginnendruck wird während des gesamten Spritzgussprozesses gemessen.
Die in den verschiedenen Phasen des Spritzgusszyklus gemessenen Werkzeuginnendruckwerte korrelieren mit den Qualitätseigenschaften der Bauteile.

Intelligente Kombination von Messung und Statistik

Eine auf der Werkzeuginnendruckmessung basierende Prozessüberwachung besteht aus hoch präzisen und gleichzeitig robusten Sensoren und aus einem Prozessüberwachungssystem, wie beispielsweise ComoNeo von Kistler. Dabei befähigt die Funktionalität ComoNeoPREDICT zusammen mit der Software StasaQC das System zu einer effizienten und automatisierten Dokumentation der geplanten Versuchspläne (DoEs), aber auch zur entsprechenden Prozessanalyse. Die Funktionalität ist bedienerfreundlich und kann daher im Shopfloor effizient implementiert werden. Anwender können somit einen entscheidenden Schritt in Richtung Null-Fehler-Produktion gehen: ComoNeoPREDICT ermöglicht es, die zu erwartenden Qualitätsmerkmale aus den Messwerten zu bestimmen, ohne die Bauteile aufwendig zu vermessen. Auf diese Weise lässt sich die Qualität des Bauteils vorhersagen, noch bevor es gefertigt ist, inklusive der notwendigen Dokumentation.

Präventive Qualitätssicherung

Auch während der Prozessanalyse und -entwicklung senkt der Einsatz von ComoNeoPREDICT in Kombination mit der StasaQC Software den Aufwand. Um in der finalen Prozessentwicklung ein stabiles Prozessfenster auf einer qualifizierten Maschine zu finden, gilt es, abgestimmte DoEs zu erstellen und abzufahren. Der DoE mit Variation der Maschinenparameter dient dazu, im Prozess eine Varianz der Prozesszustände dargestellt durch den Werkzeuginnendruck zu realisieren und das Prozessfenster abzudecken. 

Die mathematische Korrelation der Messwerte mit den anschließend gemessenen kontinuierlichen und attributiven Qualitätsmerkmalen liefert ein Modell zur laufenden Vorhersage der jeweils produzierten Qualität. Durch spezielle Algorithmen und den Einsatz von Machine Learning in der Software STASA QC wird eine sehr hohe Modellgenauigkeit erreicht. Dank dieser lässt sich die Qualität des Bauteils in der Fertigung vorhersagen sowie Teile, die außerhalb der Toleranz liegen aussortieren. Die Aufgabe erfüllt in der Praxis das Prozessüberwachungssystem ComoNeo und deren Softwareerweiterung ComoNeoPREDICT vollautomatisiert. Somit lässt sich nicht nur die geforderte Qualität garantieren, sondern auch Prüfkosten drastisch senken. Eine ideale Voraussetzung für den Spritzgießer seine Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. 

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